Hallo liebe Blogleser,
ich weiß es ist schon eine Weile her, doch bisher war ich nicht wirklich in der Lage Euch hier mehr an Informationen mitzuteilen. Es braucht schon eine gewisse Zeit alles zu verarbeiten und zu begreifen und sich gleichzeitig auch mit der Realität auseinanderzusetzen und das (mein) Leben neu zu organisieren.
An dieser Stelle möchte ich meinen vielen lieben Freunden für ihre moralische Unterstützung danken! Ich hatte mein Leben auf „blu:kat“ organisiert, mit dem ich die letzten drei Jahre über 40.000 sm mit vielen von euch unterwegs gewesen bin. Und es sollten in diesem Sommer wieder viele alte und neue Mitsegler dabei sein. Jetzt sind diese Urlaubspläne geplatzt, was mir unendlich leid tut.
Auch mein Traum, in den ich von 2004 bis 2009 unendlich viele Stunden an Arbeit, Engagement und Herzschmerz, Gedanken, Ideen und mein Vermögen investiert habe und in dieser Zeit nur für das Erreichen des Ziels gelebt habe, ist im Moment ausgeträumt. So gut es tut von Familie und Freunden aufgefangen zu werden, so ist es doch ein sehr schmerzlicher Verlust.
Aber wie viele von Euch in Mails und anderen Medien zusammen mit den tröstenden Anteilsnahmen schrieben: Am Wichtigsten ist es dass wir leben. Bevor ich etwas über den eigentlichen Hergang schreibe. An dieser Stelle auch nochmals ein herzliches Dankeschön an die russische Crew des norwegischen Frachters „Wilson Narvik“, die nicht nur professionell geholfen hat, sondern auch sehr herzlich und überdurchschnittlich gastfreundlich war.
Danke, Danke an Alle!!!
01.05.2012 kurz nach 03.00 UTC
Vor einigen Tagen hatte „blu:kat“ 40.000 sm seit seiner „Geburt“ auf Kreta im August 2009 zurückgelegt. Es war an sich eine ruhige, dunkle Nacht mit gutem Wind aus südlichen Richtungen um die 15 Knoten. Halbwindkurs mit Groß und Genua. Ideal – „blu:kat“ fuhr mit durchschnittlich 7 Kn und in Spitzen auch mal um die 9 Kn in der relativ ruhigen See mit vielleicht 1,5-2m hohen Wellen.
Alles war ruhig, beim letzten Ausguck gab’s nur ein paar Sterne zu sehen. Weder AIS-Signale noch Lichter von anderen Schiffen waren sichtbar, was nicht unbedingt verwunderlich war. Die letzten Tage sahen wir immer nur vereinzelt alle 2-3 Tage mal einen Frachter.
Auf einmal ein lauter Knall an STB, ein Ruck durchs Schiff. Das war anders als die „Schläge“, die „blu:kat“ schon vielfach, mal mehr, mal weniger erschüttert hatten, weil Wellen an die Bordwand, den Brückendeckboden oder unter den Katwalk schlugen. Noch bevor ich es als eine neue unbekannte Geräuschkulisse einordnen konnte, meldete der Sensor in der STB-Bilge: Wasser im Schiff. Auch das war nicht so ungewöhnlich, denn ab und an gab es schon mal – bedingt durch heftige Schiffsbewegungen – einen Fehlalarm, weil der Schwimmer einfach gewackelt hat. Trotzdem bin ich runter und hab nachgesehen. Ich hab die Sitzbank und das darunterliegende Bodenbrett hochgehoben um nach dem Schwimmer zu sehen. Da war Wasser! Viel Wasser schon knapp unter den Bodenbrettern. Woher kann es kommen? Hier in diesem Bereich gibt es keine Borddurchlässe und im einsehbaren Bereich in dem sich diverse Rohre und Kabel befinden war alles normal – jedoch versperrten die festeingebauten Tanks den Blick auf die restlichen, viel größeren Bereiche in der Bilge. Pumpe an, dann wird’s schon passen dachte ich. Immerhin hatte ich vorinstallierte feste Rohre in den Bilgen jeder Sektion, die in getrennten Sammelrohren für die jeweiligen Bereiche nach STB und BB aufgeteilt waren. Ich habe eine Pumpe angeschaltet.
Dann hab ich meinen Mitsegler geweckt. Bis der im Salon erschien, war das Wasser bereits schon weit über den Bodenbrettern. Erst mal Fahrt rausnehmen schoss es mir durch den Kopf und noch zwei Pumpen an. Ich schickte Bodo raus zum Segelbergen und ich selber schaltete die anderen Pumpen im Maschinenraum mit dazu. Leider ergebnislos, denn das Wasser stieg trotzdem weiter an.
Vermutlich „funktioniert“ man in einer solchen Situation nur. In Sekundenschnelle laufen diverse Szenarien durch den Kopf, während das Wasser weiter stetig steigt. An das Herausreißen des Bodens und der Tanks war nicht zu denken – alles fest verschraubt und die Tanks angeschweißt. Zwischenräume ausfüllen – es scheint zwecklos weil ich auf die Schnelle gar nicht an alle rankomme. Ins Wasser und versuchen dort was zu machen – womit, ggf. wie festmachen in stockfinsterere Nacht bei Seegang und nur zu zweit, ganz abgesehen dass man vermutlich nichts gesehen hätte ohne Unterwasserscheinwerfer. Was kann es noch geben um das Wasser zu stoppen? Die Pumpen laufen und trotzdem wird es mehr – sehr schnell sehr viel.
Ich will „blu:kat“ nicht verlieren und doch muss ich auch an meinen Gast denken, für den ich Verantwortung habe und der zu Hause Frau und Kinder hat. Immer noch sind keine Schiffe auf dem AIS zu sehen. Normalerweise ist die Reichweite immer so um die 25-30 sm hier im freien Atlantik.
Von Berichten anderer Yachten weiß man, dass diese teilweise in wenigen Minuten versinken. Wir scheinen etwas mehr Zeit zu haben, aber inzwischen nur noch um das Schiff verlassen zu können, denn das Wasser ist unaufhaltsam weiter gestiegen.
Während ich Bodo Wasser und Büchsen zusammensuchen lasse, verfrachte ich eine Rettungsinsel ins Beiboot, lasse dieses runter und achteraus an einer langen Leine treiben – die Außentreppen am STB-Rumpf sind schon fast alle unter Wasser! Jetzt noch die andere Rettungsinsel ins Wasser und auflasen- es klappt, aber sie liegt verkehrt rum. Nur mit Bodos Hilfe gelingt es sie umzudrehen. Der hat inzwischen einiges zusammen gesammelt und im Cockpit bereitgestellt. Seenotsignale und ein paar persönliche Sachen kramt er als nächstes zusammen, während ich eine Funkmail los schicke und es auch mit einer Seenotmeldung via UKW und Grenzwelle versuche.
Wir kramen noch weitere Sachen zusammen: EPIRB (Notfunkbake), Erste Hilfe, Schwimmwesten, Lifeleinen und diverses Tauwerk, Taschenlampen, die wasserdichte Tasche mit Papieren und Handy sowie ein paar Klamotten. Das Ölzeug und die Gummistiefel schnappe ich mir im Vorbeigehen und zieh sie gleich an.
Raus und alles ab in die Rettungsinsel. Der STB-Rumpf ist weiter abgesunken. „blu:kat“ hatte noch nie so viel Schlagseite. Ich geh noch mal rein und bemerke wie die ersten FI-Schalter auslösen. Die Pumpen sind scheinbar nass geworden und hören auf zu arbeiten.
Über UKW-Funk meldet sich ein Frachter! Anfangs schlecht zu verstehen gebe ich mehrmals die Position durch. Er ändert seinen Kurs zu uns und kann in knapp zwei Stunden da sein. Scheinbar haben wir Glück im Unglück, doch mittlerweile schlagen einzelne Wellen schon über das STB-Deck und mit jeder Weiteren sinkt der Rumpf tiefer. Beim Generator, der schon lange lief um die Batterien zu laden, ertönt jetzt immer wieder die Störungsanzeige bis er irgendwann ganz ausfällt. Durch die Batterien auf der BB-Seite haben wir Licht und „blu:kat“ ist hell erleuchtet. Durch das helle Licht der Deckscheinwerfer am Mast wird die Krängung immer deutlicher.
Ich schnappe mir die UKW-Handfunkgeräte und steige nach Bodo in die Rettungsinsel, der befürchtet, dass „blu:kat“ jetzt wohl recht bald kentern wird. Von dem Frachter ist noch nichts zu sehen. Aber er meldet sich per Funk und berichtet, dass ein anderer Frachter ebenfalls Kurs zu uns hat. Wir sind in der Insel, die an sich für 8 Personen gedacht ist und hocken dort auf Büchsen, Wasserflaschen, Leinen, Seenotsignalen und den restlichen Sachen. Nun können wir nur noch warten. Warten auf die Frachter und warten darauf zu zusehen wie mein Lebenstraum langsam aber sicher über den STB-Rumpf kentert.
Beim Eintreffen der „Wilson Narvik“ schaut nur noch ein kleiner Teil des Unterwasserschiffes vom BB-Rumpf aus dem Wasser. Es sieht aus wie ein letzter Gruß, während uns die Frachterbesatzung über die ausgebrachte Leiter an der BB-Seite an Bord hilft. Bei dem Glück im Unglück frage ich zaghaft nach der Bergung des Schlauchbootes, welche der Kapitän nach einer Anfrage des Chefingenieurs über Funk gestattet.
Nach einer Woche auf der „Wilson Narvik“ hat uns die Crew wohlbehalten in Algeciras (Spanien, gegenüber Gibraltar) an Land abgesetzt und wir konnten unsere Reise nach München antreten.
(Über die Woche auf der „Wilson Narvik“ werde ich vielleicht später hier im Blog berichten)
Zukunftsaussichten:
Wie schon eingangs erwähnt bin ich dabei mein „neues“ Leben ohne „blu:kat“ in München zu organisieren. Jobs, Wohnung, Auto und was sonst zunächst wichtig ist, nachdem mir so gut wie nichts geblieben ist.
In ersten Gesprächen mit sehr guten Freunden keimt jedoch schon wieder der Gedanke an ein neues Schiff. Für die nahe Zukunft kann ich mir nichts anders vorstellen als auf einem Schiff und dem Meer zu leben.
Was sich genau ergibt oder was ich plane, werde ich weiterhin hier im Blog schreiben und freue mich, wenn es wieder soweit ist und ihr bald wieder mit an Bord seid.
Bis dahin Danke an alle und für eure Treue.
Skipper Martin
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