Jun

11

ANNETTE

Wenn es an Bord der VAVA-U etwas Besonderes gibt, dann ist es das frisch gebackene Brot von Martin!
Vor allem Chris und ich, die mit diesem Morgen den 306. Tag auf unserer Weltreise einläuteten, genossen dies sehr. In wie vielen Ländern gab es schließlich schon ein richtiges Krustenbrot? Doch unser Kapitän hatte am Vortag mehrere Laibe in seinem Katamaran-Backofen gezaubert, was wir uns nun zum Frühstücksei schmecken lassen durften.

Für diesen Morgen hatten wir uns die Erkundung des Waldes vorgenommen, den wir bereits am Vortag entdecken wollten. Daher machten wir uns um viertel vor 9 mit dem Dinghy auf zur anderen Atollseite. Etwa 20 Minuten später legten wir am palmenreichen Strand der türkisfarbenen Bucht an und stolperten dabei fast über eine auf dem Rücken liegende große Krabbe, die gerade ihre letzten Atemzüge zu machen schien. Trotz Umdrehen, Wasser und Schutz unter den Palmenwurzeln schien sie jedoch nicht weiter lebensfähig.
Einige viel lebhaftere Exemplare fanden wir dagegen vor, als wir uns weiter in den Wald aufmachten. Schon auf der Fahrt über die Lagune sahen wir riesige Vogelschwärme doch war dies im Vergleich Nichts hierzu, was wir in diesem Dschungel vorfanden. Als wir einige Meter Palmenufer hinter uns gelassen hatten, bogen wir durch hohes violett blühendes Gestrüpp in Richtung altem Baumbestand ab. Kaum waren wir unter den ersten hohen knorrigen Urwaldriesen angekommen, hörten wir das grandiose Konzert der fliegenden Geschöpfe.
Die Vögel hatten in den Baumkronen ein Paradies auf Erden, das sie in Massen zu bewohnen schienen. Hohe, singende Töne erreichten uns ebenso wie tiefere Akkorde, die eher an den Klang von Wildschweinen erinnerten. Doch es waren alles Vögel, die mit ihrer weißen Vogelkacke jeden Quadratzentimeter des Waldes bis auf den Boden hinab markierten.

Quer durch den Wald sahen wir die riesigen Krabben laufen, die im knorrigen Wurzelwerk ihre Heimat hatten. Für uns war der kleine Trampelpfad, der über Waldboden und angeschwemmte Korallen führte, wie eine kleine Durchschlagübung.
Wir von der VAVA-U waren auf Expedition!
Ein erhebendes Gefühl sich wie ein kleiner Entdecker zu fühlen. Martin, der seine Flipflops auf dem Boot vergessen hatte, konnte sich noch ein wenig ursprünglicher fühlen als wir, da er jede Erhebung des Atoll-Bodens verinnerlichen konnte.

Als wir aus den dichten dunkelgrünen Baumkronen hinaustraten, erstreckte sich nochmals ein schmaler Streifen Palmen und niederes Gestrüpp, bis wir auf der Außenseite des Atolls an einem beeindruckenden Korallenstrand ankamen. Am Vortag hatten wir genau an dieser Stelle geankert, doch nun konnten wir jedes Detail in Ruhe aus der Nähe bestaunen. Die helltürkise Gischt prallte an orange Felsformationen, die teils durchlöchert dem Meer unterschiedliche Wege an Land bot.
In der Ferne sahen wir Manihi während unsere Füße auf die riesigen Korallenbänke in weiß-orange-rot liefen. Jeder genoss auf seine Weise: am Strand entlanglaufen, lila Muscheln sammeln, hinsetzen und der Brandung zusehen oder auch träumend in die Ferne blicken. Ganz besonders wertvolle lila marmorierte Stifte, die wir ursprünglich als Muschelteile interpretierten, stellten sich später als dicke, stumpfe Primärstacheln des Griffel-Seeigels heraus. Einige dieser Stifte landeten ebenfalls als Erinnerung in unserem Gepäck.
Leider machte jedoch auch vor diesem paradiesischen Platz die Realität nicht Halt: auf der gesamten Strandlänge verteilt mussten wir die Rückstände des zivilisierten Lebens ertragen. Plastik in allen Variationen! Alte Zahnbürsten, schon von Korallen bewachsen, Flaschen, Schraubverschlüsse, Kanister usw. Es war traurig! Schon so oft hatte ich dies überall auf der Welt mit ansehen müssen, aber es tat immer wieder weh! Markus, der uns hiervon Erinnerungsfotos schoss, fand sein persönliches Andenken: den Korpus einer Barbie. Doch auch ich konnte mit einem ausgefallenen Exemplar dienen, denn auf der Suche nach lila- und rosafarbenen Muscheln, hob ich eine besonders hübsche pastellrosa Muschel auf, die mich völlig aus der Fassung brachte. Was war das denn? Das war doch gerade Fred Feuerstein! All meine Kindheitserinnerungen ließen sofort die Krawatte am Hals als eindeutiges Identifizierungsmerkmal erkennen. Fred Feuerstein war wohl einige Jahre im Meer unterwegs gewesen, hatte seine Farbe verloren und war von rosa Korallenbatzen umzogen. Barbie und Fred kamen somit als Erinnerung und Symbol unserer Müllproblematik mit an Bord!

Zum Abschluss stieg Martins Drohne empor und sorgte damit noch für die Luftperspektive eines wirklich besonderen Platzes. An Spinnen, Krabben und Vogelkacke vorbei (oder Martin direkt darüber) ging unsere Expedition zurück zum an die Palme gebundenen Dinghy. Dieser Besuch hatte sich mehr als nur gelohnt.

Als nächstes steuerten wir den Einfahrtskanal des Atolls an, denn dort sollte es ein ganz besonders schönes Riff geben, das uns zum Schnorcheln einlud. Mittlerweile nahm ich als die Leichteste in der Runde schon hinten im Dinghy Platz, damit ich nicht ganz so von den Wellen durchgerüttelt wurde, wenn unser Beiboot in die Wellen ging. Dennoch war ich nicht ganz so erfreut, als der Wind die Wellen etwas geformt hatte und ich mich erneut mit Kraft am Dinghy festhalten musste. Der einzige Vorteil schien mir, dass ich meine Muskeln so wieder etwas aufweckte. Doch wie so oft lohnte sich auch dieser „Ritt“ wieder.

Martin fuhr ans Ende des Einfahrtkanals und ließ die schnorchelwilligen von dort aus ins Meer, damit sie sich ins Atoll treiben lassen konnten. Felix und Chris waren sofort im Wasser, während Markus und ich mit Martin im Boot blieben. Irgendwie fühlte ich mich nach dem Ritt nicht stark genug um die Flossen zu schwingen. Martin hatte für mich jedoch die absolut gewinnbringende Idee: einfach mit Maske und Schnorchel den Kopf vom Boot aus ins Meer tauchen.
Klasse!
So beugte ich meinen gesamten Körper über den Rand, hielt mich rechts und links an den Griffen fest, während mein Kopf so halb unter Wasser war. Damit musste ich auf Nichts verzichten! Alle Details des Korallengartens und jeden einzigartigen Fisch konnte ich aufgrund des klaren Wassers erkennen. Riesige bunte Unterwassergeschöpfe zogen an uns vorbei (bzw. wir eher an ihnen) und wir vermuteten, dass es große Papageienfische waren, die uns am meisten begeistert hatten.

Nach einer kurzen Pause auf der VAVA-U besuchten wir noch das ca. 20 Minuten entfernte Dorf von Ahe, diesmal bei jedoch absolut ruhiger See! Wie wandlungsfähig das Meer sich uns binnen weniger Minuten immer zeigte… – dafür mussten wir um zur Ortschaft zu gelangen eine Regenfront kreuzen. Es war ein sanfter warmer feiner Nieselregen, der uns auserwählt hatte. Das Sommerregen-Konzert, das ich über die Kapuze meiner Regenjacke vernahm, zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht. Tiefe Zufriedenheit aufgrund all dieser besonderen Momente machte sich breit! Im Ort wurden wir unseren Müll los, durchstöberten einen kleinen Einkaufsladen und erwarben uns ein Passwort für den Hotspot-Platz des Ortes.
Ein wenig bedauerlich war, dass wir auch hier keinerlei frische Lebensmittel fanden. Über Gemüse hätten wir uns wirklich sehr gefreut – wir mussten es im nächsten Atoll erneut probieren.

Der internetfähige Platz umrahmte das Postamt und hatte glücklicherweise eine lange Holzbank mit Überdachung, so dass wir wie Hühner auf der Stange vor dem Regen geschützt Wifi hatten. Naja, zumindest fast! Während die Männer sich mit ihren Smartphones prima einloggen konnten, streikte mein Handy, was mich zugegebenermaßen echt frustrierte. Je länger man reiste, desto wichtiger wurden einem manchmal Kontakte zur Heimat, wichtigen Familienmitgliedern auch persönlich zu sagen, dass es einem gut ging. Ich schluckte meine Schwermut in den nächsten Minuten hinunter und versuchte den sich breit machenden Kloß im Hals nicht gewinnen zu lassen. Chris konnte immerhin allen schreiben, dass wir die Zeit an Bord genossen! Ein wenig tröstete mich der Gedanke, dass wir alle die uns wichtig waren immerhin mit unseren Geschichten im Blog auf dem Laufenden hielten.

Beim Weg zurück zum Dinghy konnten wir dann noch trockenen Fußes durch die Straßen und Gassen des kleinen Ortes gehen und spitzten in den ein oder anderen Hof hinein. Schweine waren mit Leinen an Palmen gebunden, Hühner liefen frei umher (Hunde natürlich sowieso!), Krabben verkrochen sich in ihre Erdlöcher und die Einheimischen fuhren mit ihren dreirädrigen Fahrrädern an uns vorbei. Eben ein typisches polynesisches Dorf!

Um 16:30 Uhr lichteten wir den Anker und starteten bei Wolken und aufkommendem Wind in eine aufregende Nacht…zumindest für mich. Denn ich hatte Martin gefragt ob wir aufgrund der Windstärke eine Nachtfahrt zu erwarten hätten, die der ersten unseres Törns entsprach. Ich erntete ein klares und ehrliches „Ja!“, was mich aufhorchen ließ. Zuerst freute ich mich als uns beim Auslaufen das Schwanken begrüßte und wir bis zu 10 kn nach dem Segel setzen erreichten. Meine anfänglichen Glücksgefühle musste ich jedoch bei Einsetzen der Dunkelheit in ein mulmigeres Empfinden eintauschen. Die Wolken über uns verhinderten einen Sternenhimmel, Mond war eh keiner mehr da und somit war ringsum alles schwarz! Eine völlig neue Erfahrung, noch dazu bei aufkommenden Böen bis zu 20 Kn (also wieder Windstärke 5) und einem Wellengang, den wir so noch nicht empfunden hatten.

Um 20 Uhr löste ich Chris von der Wache ab. Gekocht hatten wir nicht, niemandem war so recht nach warmen Essen gewesen. Daher nahm Chris als erstes den Weg in die Küche um sich ein Brot zu schmieren. Von meinem Beobachtungsposten sah ich ihm ein wenig zu, die anderen schliefen. Das Nutella-Brot in der rechten Hand haltend versuchte Chris wieder ins Cockpit zu gelangen. Just in diesem Moment erwischte uns mal wieder eine größere Welle, die Chris aus der Bahn warf. Zu meiner Belustigung durfte ich dies wie in Zeitlupe betrachtend mit ansehen! Um Balance zu halten stützte sich Chris mit dem Körper an der Küchentheke ab, was dazu führte, dass die Wucht des Aufkommens ihm das Brot aus der rechten Hand katapultierte. Mehrfach drehte sich dieses dann im hohen Bogen in der Luft bis Chris es in Sportlehrermanier äußerst geschickt auf seiner linken Hand wieder landen ließ. Natürlich mit der Nutella-Seite auf der Handfläche klebend!

Obwohl Markus und Felix im Cockpit schliefen, ich konnte einfach nicht anders, lachte ich lauthals los. Chris suchte meinen Blick: „Hast du das gesehen?“ Ich hatte! Und wie! Situationskomik auf See – unbeschreiblich für Außenstehende!
Doch rettete es mir so manche Stunde dieser Nacht, die für Martin übrigens mehr als im dunkelgrünen Bereich war.
Wenig später verkleinerte Martin dann die Segelfläche um langsamer zu werden, so dass wir weniger stramm mit dem Wind fuhren.
Was mir dann eine Wohltat war, kam Markus „arschlangsam“ vor, so unterschiedlich waren in diesen Stunden die Wahrnehmungen.
Jedenfalls fand ich Dank der Lautstärke und dem Heben und Senken des Bootes immerhin 2 Stunden Schlaf.