Jun

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ANETTE

In der Nacht legte der Wind noch einmal an Stärke zu, so dass Martin um Mitternacht das Segel verkleinerte. Alle zwei Stunden weckten wir ihn zum Schichtwechsel auf, damit er unseren Kurs und die Segelstellung kontrollieren konnte.

Um 5 Uhr morgens war es dann soweit: wir sahen Land! Am Kim war ein Licht zu sehen, das vermutlich vom Flughafen der Insel her leuchtete und man konnte das Brechen der Wellen am Riff des Atolls erkennen. So aufregend war das! Nach so vielen Stunden auf See wieder Land zu sehen, noch dazu im Sonnenaufgangslicht, ist mehr als nur eindrucksvoll gewesen. Wie ein Magnet zog es unsere Blicke an und so ging Martins Fernglas reihum, damit wir das flache lange Land, welches von der Ferne nur aus Sandstrand und Grünstreifen zu bestehen schien, bestaunen konnten. Aber auch ein großes Schiffswrack am Strand begeisterte uns durch seine Größe.

Als uns das Atoll seine Einlauf-Öffnung mit einem befestigten Inselabschnitt und einer kleinen sich dort erhebenden Kirche zeigte, holten wir um 7:15 Uhr das Segel ein. Nichts Schöneres hätte es an diesem Morgen geben können, als mit der Aussicht auf einen sommerlichen Atoll-Tag auf dem Deck des Katamarans zu stehen und die Vorbereitungen für einen Landgang zu treffen. Vorerst ankerten wir vor der Einfahrt, richteten dabei das kleine Dinghy, in das Martin und Markus den Motor einhängten und stärkten uns mit einem ausgiebigen Frühstück im Schatten des Cockpits.

Im Anschluss daran erwies sich unser Kapitän Martin als hervorragender Katamaran-Arzt! Denn mit äußerster Perfektion entfernte er Chris seine 15 Fäden vom Nähen, die er sich bei einer Verletzung auf Moorea an seiner linken Hand eingefangen hatte. Martin bewies eine extrem ruhige Hand, so dass wir uns auch medizinischer-seits in absolut zuverlässiger Hand wussten.

Direkt danach winkten wir einen Einheimischen herbei, der gerade mit seinem kleinen Boot an unserem Katamaran vorbeizog. Mit unserem überschaubaren französischen Wortschatz fragten wir ihn um Einlauferlaubnis bzw. auch um den besten Weg in das Atoll. Der nette Mann bat uns daraufhin einfach ihm nachzufahren! Schnell lichteten wir den Anker, so dass Martin die VAVA-U sicher zwischen den Riffen in das Atoll bringen konnte. Beim Einlaufen sahen wir die starke Strömung, die sich hier zum offenen Meer hin bildete. Begrüßt wurden wir von mehreren schnorchelnd abtauchenden Männern, die in ihrem Atoll „auf Jagd gingen“ – wir wollten uns später ansehen, was sie da taten. Vorerst waren wir an einem guten und sicheren Ankerplatz interessiert, der uns zudem eine phantastische Aussicht bot. Um 9:25 Uhr fanden wir dann in der Nähe des kleinen Dorfes an einem Riff unseren Platz.

 

Direkt danach ging es auch schon aufs Dinghy um zum kleinen Dorf der Insel zu kommen, dem Takaroa Village. Aus den Häusern der Bewohner klang Musik und überall begegneten wir wahnsinnig freundlichen Menschen, die uns als Besucher herzlich empfingen. In einem kleinen Shop bestellten wir uns Baguette für den nächsten Morgen und lernten schon wenig später die nette junge Ela kennen, die uns durch das Inseldorf führte. Ela war 20 Jahre alt und die Schreibkraft der Schule. Sie zeigte uns voller Stolz den Lieblingsort der Dorfbewohner: ein überdachtes offenes Gebäude, das über und über kunstvoll mit Muscheln geschmückt war, welche Gemälde an die Wand zauberten. Dort würden sich jeden Tag die Menschen versammeln. Ein paar Ecken weiter kamen wir dann auf die Idee die heimische Schule aufzusuchen, denn mit Ela war die Verständigung etwas holprig und wir waren auf der Suche nach mehr Informationen zur Insel. Der Lehrer der Insel sollte jedoch Englisch sprechen können. „Le Prof“ konnte uns dann von seinem Klassenzimmer aus hervorragend weiterhelfen. Von ihm erhielten wir Tipps zu Schnorchel-Spots, der Grünen Lagune und eventuellen Perlen-Züchtern.

Aber auch die Schule an sich war ein Erlebnis: die kleinen Schüler stellten uns sich vor und zeigten all ihre kindliche Begeisterung zu unserem Besuch! Auf dem Weg durch das Dorf kamen wir auch bei Frauen vorbei, die in ihrem Haus Souvenirs herstellten. Sie bastelten mit Muscheln Schmuck, nähten Roben und vieles mehr. Vorbei an den zwei hübschen Kirchen des Dorfes, nahmen wir wahr, dass einige Häuser leer standen. Die Menschen waren weggezogen.

Am Nachmittag folgten wir den Informationen des Dorflehrers indem wir mit unserem Dinghy zum Schnorchelplatz fuhren, der mitten im Atoll lag. An einer flacheren Sandbank mit Korallenfelsen ankerten wir um vom Boot aus ins Wasser zu hüpfen und die Unterwasserwelt zu entdecken. Vor allem Fähnchen-Falterfische umzingelten die Korallen, doch auch andere bunte Gesellen waren zu sehen. Allerdings waren sie schrecklich schreckhaft. Vielleicht lag dies daran, dass nur wenige Meter vorher die Insulaner mit Harpune auf Jagd gingen. Wir hatten auf dem Weg halt gemacht bei den Tauchern, die uns schon bei der Einfahrt zugewunken hatten. Gingen wir noch davon aus, dass es sich um Perlentaucher handelte, stellten wir bald fest, dass sie mit neuen großen Harpunen große hübsche Fische erbeutet hatten. Vielleicht hauten deshalb die Fische schneller vor uns ab als wir dies von anderen Tauch-Spots gewohnt waren.

 

Als wir alle wieder aufs Boot geklettert waren, ging es für uns weiter zur „Grünen Lagune“ des Atolls. Dieses lag atemberaubend still von einer riesigen Palmenbucht umgeben, die, wie wir beim Aussteigen aus dem Boot merkten, eine Badewanne hervorbrachte. Das Wasser war nicht nur warm, sondern heiß, was den unzähligen Seegurken zu gefallen schien. Martin brachte uns noch auf die Idee an diesem Sandstrand ein paar Kokosnüsse ins Boot zu werfen ?? Gesagt, getan! Und schon ging es mit der Ausbeute weiter.

 

Auf der anderen Atoll-Seite erhofften wir eine Perlen-Zucht besuchen zu können. So hielt Martin am ersten Häuschen, welches auf Stelzen ins Wasser gebaut war an, da wir dort einen Mann gesehen hatten von dem wir uns Auskunft wünschten. Als der nette Kerl auf meine Nachfrage hin uns völlig unerwartet auf sein Häuschen einlud um das Bearbeiten von Perlen zu sehen, konnten wir seine Aussage kaum glauben. Dieses Anlegen am ersten Häuschen des Atolls schien mehr als ein Zufall gewesen zu sein: es war ein Jackpot!

Zügig kletterten wir auf den Holzsteg, denn wir waren mit unserer Nachfrage auf die VAIMA River Pearl Farm gestoßen.
Drei Männer bearbeiteten die Austern, einer davon hieß „Rick“. Rick war mit einer Australierin verheiratet und konnte uns daher eine perfekte englischsprachige Führung geben. Wir sahen dabei zu wie die Austern in einem ersten Schritt mit einem Spachtel von Muschelbewüchsen befreit wurden und kurz danach ein wenig geöffnet wurden, um deren Eignung zur Aufzucht festzustellen. Geeignete wurden an den nächsten Mitarbeiter weitergereicht, die anderen ausgeschabt und für den Weiterverkauf an Chinesen hergerichtet. Die Chinesen waren scharf auf diese Art von Potenzmittel.

Im nächsten Zimmerchen der Hütte saß ein wahres Perlenbefruchtungs-Genie: wie in einem kleinen OP wurden die Austern von ihm nur einen Spalt weit geöffnet und mit ganz feinen Instrumenten eine kleine gelbe Perle aus dem Mississippi River in einen schleimigen Beutel injiziert. Diese kleine Perle würde in den folgenden eineinhalb Jahren zu einer prachtvollen schwarzen Perle umschlossen werden.
Um im Meer fest angebracht werden zu können, wurde die „befruchtete“ Auster mit einer Bohrmaschine am Rand durchlöchert und mit einem Faden an ein Gestell gehangen. Hochinteressiert stellten wir Frage um Frage und erfuhren damit das der Auster-Befruchter ca. 400 Stück pro Tag schaffte. Rick berichtete uns aber auch von einem rückläufigen Geschäft.
Die Verschmutzung der Meere hatte auch vor dem Atoll nicht Halt gemacht, so dass nur noch ein kleinerer Teil der Bucht klar genug war um hier einwandfreie Ware zu liefern. Dies hatte auch dazu geführt, das Menschen die Insel verlassen mussten um woanders Arbeit zu finden. Nun hatten wir auch die Erklärung weshalb so viele Häuser leer standen.

Anstatt um die 600 Menschen lebten nun nur noch ca. 500 im Dorf von Takaroa. Zum Abschied schenkte uns Rick noch zwei Hälften, die eigentlich für die Chinesen gedacht waren. Sie sollten nun das Boot schmücken.

Mit Kirchengeläut im Atoll gingen wir auf den Tuamotus zum Sonnenuntergang über. Wir waren uns alle einig: es war ein wundervoller Tag gewesen!